Wie antifaschistische Gruppen einmütig berichten, findet heute von 10 bis ca. 16:30 Uhr ein Treffen der Reichsbürger*innen-Organisation „Internationale Organisation Völkerrecht“ (IOV) in Flensburg statt. Dieses ist Teil einer bundesweiten Veranstaltungsreihe der 2023 neu gegründeten Organisation.


Der Veranstaltungsort ist die TKSB Lichtschutz GmbH, ein Geschäft für Sonnen-, Sicht- und Blendschutzsysteme in der Liebigstraße 22 in Flensburg.
Teil der Reichsbürger*innen-Organisation ist Thorben K. aus Oeversee, der in internen Dokumenten als Delegierter für die heutige Veranstaltung in Flensburg auftritt. Zusammen mit der Geschäftsführerin Tina K. wird das Unternehmen TKSB Lichtschutz GmbH mit Thorben K. als Prokurist gemeinsam geführt. In sozialen Netzwerken wirbt Thorben K. für deren Unternehmen TKSB. Mitgesellschafter ist die Firma Axetal GmbH mit Sitz in Hamburg, die früher in Harrislee firmierte.
Auf Facebook teilt Thorben K. kaum Auffälliges. Viel zur Corona-Pandemie, was als Unternehmen angesichts der zusätzlichen Belastungen der Zeit nachvollziehbar ist, aber auch schon Beiträge von “Reitschuster” oder einem AfD-Interview der AfD-Politikerin Corinna Miazga und zu Corona-Protesten. Brisanter scheint daher die Beteiligung an einer bundesweit aktiven Reichsbürger*innen-Organisation zu sein.

Die Reichsbürger*innen-Organisation „Internationale Organisation Völkerrecht“ (IOV) versteht sich als angebliche “Schutzmacht” für Zivilist*innen, verbreitet erfundene Ausweise, sogenannte “IOV-Identitätskarten” und schreibt Behörden, Gerichte usw. an. Bei Konflikten mit dem Staat, Unternehmen, Behörden oder Privatpersonen werden diese durch Pressemitteilungen behelligt oder vor selbst erfundene “Gerichts”-Instanzen gezerrt, z.B. das Scheinkonstrukt “Gerichtshof der Menschen” (GdM), ein sogenanntes “Restitutionsgericht” der IOV mit Sitz außerhalb der EU in der Türkei.
Das IOV-Konstrukt weist viele Ähnlichkeiten mit der Reichsbürger*innen-Struktur des “Zivilschutz” von Mustafa-Selim Sürmeli aus Stade auf, mit der es schon in der Entstehungsphase inhaltliche Berührungspunkte gegeben hat. Als Vertretung einer übergeordneten Rechtsinstanz behauptete die Organisation von Sürmeli, dass ihr unterstehende Zivilist*innen von staatlichen Gesetzen, sowie von Abgaben befreit wären und alle Belange der Zivilist*innen über die Zwischeninstanz der “Zivilschutz”-Organisation laufen müssten. Sürmeli erfand eine eigene Schein-Währung und Arbeitsmöglichkeiten für Zivilist*innen in Zweckbetrieben der Organisation. Die IOV spaltete sich 2023 hiervon ab.


Die IOV berichtet, dass sie einen Gerichtsprozess wegen Volksverhetzung in Bremen mit einer “Delegation” begleitet hätte und in einer Pressemitteilung ihre ganz eigenen Interpretation der Sachlage schilderte und den Tatvorwurf von vornherein nicht akzeptierte. In einem anderen Fall versendete eine Krankenkasse einem mutmaßlichen Organisations-Mitglied ein obligatorisches Schreiben zur Beitragserhöhung und wurde mit Schreiben belästigt. Auf eine Abmahnung durch die Krankenkasse wurde die Rechtsanwältin namentlich in Pressemitteilungen genannt und mit pseudojuristischen Behauptungen Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Nach einem Streit innerhalb der IOV wurde dem Mitglied Frank R. vor selbst erfundenen juristischen Instanzen der Prozess gemacht und ein Urteil gegen ihn gefällt, das zu seinem Ausschluss führte.



Zwischen Reichsbürger*innen verschiedener Organisationen herrschen unterschiedliche Rechtsauffassungen. Die einen fordern den Rechtszustand von Deutschland in den Grenzen von 1871 zurück, die anderen von 1913 oder 1937, wiederum andere behaupten, dass Deutschland zum Ende des 2. Weltkriegs nicht kapituliert hätte und wähnen sich weiter im Kriegszustand und Kriegsrecht. Viele behaupten fälschlicherweise, Deutschland sei von den alliierten Siegermächten besetzt und fordern “Souveränität” und “Selbstbestimmung”, gängige Szenecodes unter Reichsbürger*innen. Nachnamen werden bei der IOV stets in Großbuchstaben geschrieben, noch ein gängiger Scenecode, da Reichsbürger*innen das deutsche Namensrecht nicht anerkennen. Unter fadenscheinigen juristischen Begründungen wird ersichtlich, dass viele dieser Organisationen besonders interessiert sind, Einnahmen über ihre Mitglieder zu generieren, ihre Mitgliederzahlen zu erhöhen und ihre Konstrukte dafür entsprechend kreativ zu auszuschmücken.
Im Zweifelsfall behilft man sich dann doch mit dem geltenden Rechtsrahmen in der Bundesrepublik und versucht anhand der geltenden Gesetze SLAPP-Klagen oder Unterlassungsforderungen gegen Kritiker*innen und Aussteiger*innen voranzubringen oder diese im Nachhinein zu diskreditieren, zu bedrohen oder öffentlich einzuschüchtern.
Vielen Reichsbürger*innen gemein ist, dass sie die Existenz der Bundesrepublik und ihrer staatlichen Institutionen leugnen und deshalb die geltende Rechtsordnung, die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, nicht anerkennen. Sie drucken sich eigene Fahrerlaubnisse, Personalausweise, aber je nach Organisation auch Jagdscheine und andere waffenrechtliche Erlaubnisse und isolieren sich von der Gesellschaft. So hat die kürzlich verbotene Reichsbürger*innen-Organisation “Königreich Deutschland” Schlagzeilen damit gemacht, dass bei Razzien im Millionengrab von Peter Fitzek neben Goldbarren, Bargeld uvm. auch 60 Kugeln Munition gefunden wurden und die Vereinigung den Aufbau einer eigenen Armee für seinen Scheinstaat plante. Die Einnahmen erzielte er durch leichtgläubige Anhänger*innen und vermeintliche Systemaussteiger*innen in einer Art Pyramiden-System mit Scheinwährung “Engel” und Wechselkurs. Andere Reichsbürger*innen fielen ebenfalls durch bewaffnete Konflikte oder Waffenfunde auf.
Die Reichsbürger*innen-Ideologie, die tief in der Neonazi-Szene verankert ist, ist demnach keineswegs harmlos, sondern birgt Gefahren insbesondere für politisch Andersdenkende und Behördenangestellte. Im offiziellen Kanal der IOV mit über 3000 Mitgliedern wurde ein Dokument verbreitet, was ein vermeintliches Notwehr- bzw. Widerstandsrecht gegen Behördenangestellte suggeriert und ihrer Amtstätigkeit die Legitimität abgesprochen.

Neben denen, die der Reichsbürger*innen-Ideologie verfallen sind und entsprechende Inhalte reproduzieren, sich ideologisch radikalisieren und immer wieder auch Anschläge planen, haben andere sektenartige Organisationen aufgebaut und buhlen um ihre potentiell finanzstarken Anhängerinnen. Mit angeblicher Steuererleichterung und Autarkie, wie beim kürzlich verbotenen “Königreich Deutschland” oder erfundenen Ausweisen versprechen Sie ihren potentiellen Opfern das Blaue vom Himmel – meist im Tausch gegen echtes Geld, Lebenszeit und Arbeitskraft.

Die Reichsbürger*innen-Organisation „Internationale Organisation Völkerrecht“ (IOV) wird in anderen Bundesländern vom Verfassungsschutz beachtet, das Justizministerium Bayern stufte die IOV als “Reichsbürger-Gruppierung” ein. In Baden-Württemberg und Hessen machten die Sicherheitsbehörden 2024 und Anfang 2025 auf die Reichsbürger*innen-Organisation aufmerksam. In Schleswig-Holstein ist in den jährlichen Berichten oder weiteren Verlautbarungen davon nichts zu lesen. Weder die Stadt noch die Sicherheitsbehörden warnten in Flensburg im Vorfeld vor einer öffentlich angekündigten und länger geplanten bundesweiten Veranstaltungsreihe oder dieser auch in Schleswig-Holstein vernetzten und aktiven Reichsbürger*innen-Organisation. Bereits Anfang Februar fand in Schleswig-Holstein ein 2-tägiges IOV-Seminar statt. Auch wenn das heutige Treffen nur mäßig gut besucht war, darf die Reichsbürger*innen und Selbstverwalter-Szene in ihrer Gefahr nicht weiter unterschätzt werden.
So ist es wiedermal Antifaschist*innen zu verdanken, dass die Reichsbürger*innen-Szene auch in Flensburg nicht ungestört bleibt und ihre Treffpunkte und Strukturen aufgedeckt werden.